Der Bruchpilot---eine Geschichte zu unserem Sommer 2011 mit den Mauerseglern

Ein ganz nettes Mädel aus Bayern, kennengelernt im Internet, beschloss, sich in die Höhle des Löwen zu wagen und meine Station und mich zu besuchen, um mir etwas über die Schultern zu schauen. Niki kam.

Es blieb nicht bei einem Mal. Und sicher war die Liebe zu den Tieren, nicht nur zu meinen Hunden sondern vorallem auch zu den Vögeln ausschlaggebend. Schlussendlich hat sich eine ganz tolle Freundschaft entwickelt. Niki war da, Niki hat geholfen und hat viel gelernt. Und wir hatten geniale Tage zusammen. Ich habe in Niki eine "kleine Schwester" gefunden. Wir haben super viel zusammen erlebt, Schönes aber auch Trauriges. Sind durch Kuhweiden gerannt um Mauersegler zu suchen, haben mit Menschen diskutiert, die unsere Arbeit absolut nicht verstehen wollten, sind mit den Hunden bei Wind und Wetter durch den Wald / den Matsch gelaufen und haben Blödsinn gemacht. :-)

Bei späteren Besuchen hat Niki dann ihre "eigenen" Mauersegler mitgebracht, sie hat sich in Bayern auch engagiert und das Wissen aus der Schweiz mitgenommen und selbst angefangen, einige Vögel zu pflegen. Toll!


Als sie mir dann diese Geschichte zuschickte, war klar: es kann nicht sein, dass die nur für mich bestimmt ist. Die ist so toll geschrieben!

Es geht hier in erster Linie um einen Segler-Bruchpiloten, er stürzte in eine Kuhweide und fortan wussten wir von wem wir sprachen, wenn wir "Kuhweide" sagten. Das Tier erhielt also einen sehr ungewöhnlichen und sicher nicht wahnsinnnig fantasivollen Namen. Und dennoch, er war einer der über 30 Segler, die in diesem Jahr, dem Jahr 2011, von mir gepflegt, grossgezogen und dann auch ausgewildert wurde...

 

Meine Damen und Herren, willkommen an Bord.

Die Flughöhe beträgt 30 Meter.
Wind, der durch meine Flügel pfeift. Verdammt, fühlt sich das gut an! Hatte ein paar Startschwierigkeiten, aber nicht weiter schlimm. Ich bin ein Kämpfer. Das klappt schon. Musste erst mal richtig reinkommen. Jetzt geht’s besser. Flügelschlag um Flügelschlag, höher hinaus. Hoch in den Himmel. Das Blau piekst schon fast in den Augen, so mag ich das. Yeah, ich gleite auf der Thermik dahin. Was für ein Wahnsinnsgefühl! Davon können andere nur träumen. Ich stoße einen Freudenschrei aus, blicke noch einmal zurück. Da steht sie unten auf der Wiese und schaut zu mir hoch. Was zur Hölle mach ich hier eigentlich?! Wie kann ich meine Pflegemama verlassen?! Das geht doch nicht! Scheiße. Was soll ich jetzt machen, die nimmt mich doch nicht mehr mit, wenn ich kerngesund bin. Was’n das für ’ne Begründung? „Weil ich dich vermissen würde.“ Das kauft die mir nie ab! Und die anderen Segler – die lachen mich doch glatt aus. Nein, so geht das nicht. Ich muss mir was einfallen lassen. Verdammt, ey. Unter mir ist ’ne große Wiese mit Kühen drauf. Gedankenblitz. Oh Gott, mach ich das wirklich? Stelle fest, es ist schon so weit. Flügel eingeklappt, nix da mit Thermik. Sturzflug ist angesagt.


Bitte bewahren Sie Ruhe. Es ist nur ein Flugzeugabsturz, bei dem wir höchstwahrscheinlich draufgehen.

Oh, verdammt. Verdammt, verdammt, verdammt. Ich bin nicht draufgegangen. Dreifaches Hurra. Und jetzt? Was hab ich getan?! Hier findet mich doch kein Schwein! Ich liege einfach nur in der Wiese, meine Knochen tun weh, ich bin ganz allein. Ruhe bewahren. Nur Ruhe bewahren. So was macht doch überhaupt nix aus. Ich atme jetzt kurz durch und fliege dann einfach wieder los. Wer braucht ’ne Startbahn? Die wird überbewertet. Nur kurz ausruhen und weiter geht’s, zurück in den Himmel. War irgendwie ’n Fehler bei Pflegemama bleiben zu wollen. Klar, da war’s echt toll, aber oben im Himmel auch. Von Anatomie wegen kann ich nicht mal hochgucken. Was soll denn das? Ein Vogel, der nicht mal zum Himmel gucken kann?! Fehlkonstruktion. Mann, was für eine Ironie. Das ist nervig. Ich beginne, Grashalme zu zählen, kann aber nicht weit genug gucken und auch nicht weit genug zählen. Irgendwer sollte Pflegemama mal sagen, dass man für solche Fälle zählen können muss. Langsam krieg ich Hunger. Jetzt so ’ne ordentliche Drohne! Oder ein Heimchen! Die Viecher würd ich sogar mit Beinen nehmen. Mama ... finde mich ... bitte! Ich schick ihr telepathische Botschaften. Scheinen nicht anzukommen. Nix da. Keine Reaktion. Ich bete zu Wakan Tanka, aber der scheint frei zu haben. Mist! Irgendwann spiele ich „Ich sehe was, was du nicht siehst“, aber das ist allein auch langweilig und außerdem seh ich sowieso nur Gras. Stelle langsam fest, dass mich die Farbe Grün aggressiv macht. Schwanke außerdem zwischen Depression und Wut. Will fliegen. Flügel hängen irgendwie auf den Grashalmen. Keine Chance. Bin mir sicher, dass ich hier sterben werde.


Vielen Dank für Ihren Flug mit Mauersegler Airlines. Bitte entschuldigen Sie die technischen Störungen.


Ey! Den kenn ich doch! Das ist doch dieser bekloppte Hund, der da immer rumgestromert ist?! Ich brülle zu dem Kerl rüber. „Hallooooooo! Augen auf! Hier bin ich! Guck rüber!“ Der schaut aus, als wär der grad aus einem Traum aufgemacht. Fängt an mich zu hüten. Na ganz klasse. Sonst noch was? Wünsche mir ein paar richtig effektive Greifvogelklauen. Stelle fest, nach der Hüteaktion taucht Pflegemama auf. Spüre spontane Zuneigung zu dem Hund. „Mama! Du hast mich gefunden!“ Sie zwitschert ihre eigentümlichen Melodien. Gut, gut. Soll sie doch. Hauptsache sie nimmt mich mit. Dreifaches Hurra!
Heute ist einfach nicht unser Tag

Guter alter Karton. Kuschle mich in das weiche Papier, genieße die Drohnen. Geschmacksnerven tanzen Polka. Einfach göttlich! Will nur noch schlafen, da labert mich aus der anderen Ecke einer an. „Auch abgestürzt?“ Ach, den kenn ich doch! „Mensch, Wilder, was machst denn du noch hier? Dachte, du fliegst, da warst du doch so scharf drauf ...“ Seine Augen sprühen Funken. „Du bist schließlich auch noch hier, oder?! Hab mir irgendwas verrissen. Scheiße, ich war schon fast oben. Ich hab’s fast gehabt ...“ Halte es für klüger ihm nicht zu erzählen, dass ich absichtlich wieder runter bin. Bereue es ja jetzt auch ’n bisschen. Egal, noch ein paar Tage All-Inclusive und dann bin ich bereit. Das wird schon. „Heute ist einfach nicht unser Tag.“, fasse ich die Misere zusammen und kuschle mich an ihn. Glaube, er kann den Trost gebrauchen. Das sanfte Brummen und Schaukeln macht mich schläfrig. Es ist so schön hier. Oben am Himmel waren gar keine anderen Segler. Ich bin zufrieden – so halb.


Neuerdings Star


Die anderen Segler flippen bei meiner Erzählung völlig aus. Klein-Dino hat zwar eigentlich nur Fressen im Kopf und Der Wilde klettert verbissen am Kartonrand herum, aber Fabian, Dino 1 und Dino 2 drängen sich aneinander und hören mir mit großen Augen zu. „Der Himmel war so blau!“
Alle machen „Aah“ und „Ooh“. „Und ich flog immer schneller und schneller! Und höher und höher!“ Jetzt macht es mir noch Spaß zu erzählen. Aber sie wollen die Geschichte immer und immer und immer wieder hören. Bereue es irgendwie, damit angefangen zu haben. Selbst Schuld.


Bequemlichkeit, adieu.


Klar ist Zwangsfüttern irgendwie doof – aber so wahnsinnig bequem! Ich mein, was will ich noch? Nur dösen, gefüttert werden, die anderen abwimmeln. Geht ganz leicht, wenn ich so tu, als würde ich schlafen. Das ist doch ein Superleben. Ja, ja. Manchmal hab ich schon irgendwie Lust zu fliegen. Manchmal nervt der bequeme Scheiß. Aber ich kann ja doch nicht und überhaupt, warum rumstressen?
Ich bleibe bei der Bequemlichkeit. Aber das jetzt – ein Alptraum! Ich glaub’ es hackt! Einfach nicht zu fassen, dass Mama das zulässt. Ganz ehrlich. Denk mir nix Böses, alles gut, alles klar, alles okay. Kommt da ’ne völlig Fremde. Ja, ja. So fremd auch nicht. Irgendwie scheint die ja schon was mit Mama zu tun zu haben. Aber! Die will mich doch ernsthaft füttern?! Kann die nicht leiden. Werde den Schnabel sicher nicht aufmachen. Was will die alte Trulla überhaupt von mir?! Schnabel auf, ich mach ihn zu, sie macht ihn auf, ich mach ihn zu. Findet die das witzig? Ich nämlich überhaupt nicht! Hat doch alles keinen Sinn! Soll die sich ein Hobby und ein Leben suchen und zwar bitte weit weg! Fresse zwei Drohnen. Bin heute gönnerhaft drauf. Sind beide einem Nervenzusammenbruch nahe, als ich endlich zurückkomme zu meinen Brüdern. Werde ab heute selber fressen, das tu ich mir nicht noch mal an.


Erneut – willkommen an Bord. Wir rollen auf die Startbahn.


Altbekanntes Brummen. Los geht’s. Neuer Versuch. Kann ja nix schief gehen. Habe Bayernmädels Schikane überlebt. Was Schlimmeres kann’s nicht geben. Die Alte ist ein Monster. So gern ich Mama habe, länger will ich nicht dableiben. Gut, Bayernmädel ist jetzt auch schon weg, aber trotzdem. Wird Zeit für die Freiheit. Breite die Flügel aus. Noch ein paar Liegestütze gefällig? Das Brummen hört auf. Adrenalinspiegel steigt. Puls rast. Es ist so weit. Tschüss, meine Brüder. Wir sehen uns in Afrika wieder.
Starten, Fliegen. Gar nicht mal so schwer. Willkommen an Bord, wir sind wieder in der Luft.
Genieße die Wärme von Mamas Hand. Tschüss, Mama. Schaue mich diesmal nicht um. Werde sonst hinterher wieder die Flügel einziehen und Schiss kriegen. Afrika wartet und ruft nach mir. Habe dem nichts hinzuzufügen. Noch einen kurzen Augenblick warten. Schauen. Dann springen.
Der Start ist wieder schwerer als gedacht, aber ich komm schnell rein. Flügelschlag um Flügelschlag schraube ich mich nach oben. Mein Herz pumpt, mein Herz hüpft, es flattert mit mir. Ich glaub, ich platze gleich vor Glück. Kriege davon nicht genug. Drehe noch lange Runde um Runde. Bis ich irgendwann meinen Weg aufnehme und dem Ruf folge. Es fühlt sich gut an.


Ein Versprechen gibt es dennoch.


Auch wenn es hier in Afrika wunderbar ist – ist ja auch irgendwie langweilig, wenn es immer total warm ist. Freue mich schon sehr auf meine Rückkehr. Habe eine nette Dame kennen gelernt. Was für eine Frau! Einfach genial. Hat das schönste Gefieder von allen, und eine Zunge schärfer als ein Adlerschnabel. Unsere Kinder werden sicherlich mal die klügsten und schnellsten und besten Flieger überhaupt.
Am Überlegen bin ich ja jetzt schon. Mich zieht es in die Schweiz – aber ich hab auch gehört, dass in Bayern nächstes Jahr neue Wohnungen gebaut werden. Mal sehen, wo ich vorbeischaue. Auf jeden Fall dort, wohin der Wind mich trägt.
Danke, Mama!